„Wer mutig wechselt, hat die besten Karten“ – Die nächste Generation Führungskräfte

„Wer mutig wechselt, hat die besten Karten“ – Die nächste Generation Führungskräfte

Selbst für Chefposten finden Unternehmen immer seltener Bewerberinnen und Bewerber. Dabei gibt es sie noch, die Menschen mit Gestaltungswillen. Was macht die CEOs von morgen aus?

Mit seinem Buch hat er im ablaufenden Jahr für Aufsehen gesorgt. „Arbeiterlosigkeit“ hat er es überschrieben. Darin benennt Sebastian Dettmers, Chef der Online-Stellenbörse Stepstone, ein zentrales Thema, das die Unternehmen in den kommenden Jahren umtreiben wird: den Fachkräftemangel. Menschen würden nicht mehr Stellen suchen wie in der früher herrschenden Arbeitslosigkeit, sondern die Stellen suchen Menschen.

Die geburtenstarken Jahrgänge gehen bald in Rente; zu wenig Nachwuchs kommt hinterher. In weniger als zehn Jahren werden laut Schätzungen Millionen von Arbeitskräften fehlen.

Im Gespräch mit dem Handelsblatt legt Dettmers nach: Das Problem bestehe inzwischen durch alle Hierarchiestufen. Vom Arbeiter bis zum Manager. „Die Arbeiterlosigkeit betrifft längst nicht nur noch klassische Fachkräfte-Jobs wie in der Pflege oder im Handwerk“, sagt der 43-Jährige. „Sie betrifft jeden Bereich – und auch Jobs mit Leitungsfunktion.“ Das zeigten auch die offenen Stellen auf Stepstone.de: Aktuell gebe es dort 55 Prozent mehr freie Management-Stellen als noch 2019, also vor der Coronapandemie.

Zahlen der Berliner Personalmarktforschung Index bestätigen dies. Von Januar bis September wurde ein Drittel mehr Stellen für Führungskräfte ausgeschrieben als noch im Vorjahreszeitraum. Gleichzeitig können sich laut der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG) nur 14 Prozent aller Arbeitnehmer vorstellen, in den nächsten Jahren Manager zu werden. Die Prioritäten haben sich, getrieben durch die Coronapandemie und andere Krisen unserer Zeit, deutlich verschoben. Bereits 2021 prophezeite BCG, dass Deutschland bis zum Jahr 2030 rund 341.000 sogenannte Top-Executives fehlen werden.

Das Handelsblatt hat deshalb gesucht – und gefunden: 30 Topkandidaten für den Aufstieg in die erste Führungsreihe der deutschen Wirtschaft. Wer sind sie? Was treibt diese nächste Managergeneration an? Wie wollen sie gefordert, gefördert und geführt werden, wie führen sie selbst?

Sie sind nicht älter als Mitte 40, sie sind modern, divers, erfolgreich. Sie haben schon verschiedene Posten und Stationen durchlaufen, im In- und Ausland, in Funktions- und Stabsstellen, und haben sich häufig in Zukunftsfeldern wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit bewiesen. Sie sind eher Teamplayer als Einzelkämpfer.

Hanns Goeldel, Deutschlandchef der Personalberatung Egon Zehnder, hat da klare Vorstellungen: „Wer mutig wechselt, in jungen Jahren neue Herausforderungen in fremden Umgebungen sucht und sich damit auch immer wieder beweist, hat beim großen Sprung auf den CEO-Posten die besseren Karten.“ Diesen „flexiblen Persönlichkeiten“ gehöre die Zukunft, sagt auch Klaus Hansen, Partner der Personalberatung Odgers Berndtson. Persönlichkeiten, „die gezeigt haben, dass sie in unterschiedlichen Situationen klarkommen und in der Sache neu denken, dabei aber nicht ihre Haltung und ihre Überzeugungen verlieren“.

Fachkenntnisse, früher das Nonplusultra einer jeden Karriere, seien inzwischen zunehmend weniger entscheidend. „Alles wissen können sie heute sowieso nicht mehr“, sagt Goeldel im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Extrem wichtig“ aber sei, dass die Kandidaten in wichtigen Zukunftsfeldern wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit aktiv seien.

Vieles steht und fällt mit der Person selbst, sie steht schließlich für das Bild des Unternehmens, nach innen wie nach außen. „Der wichtigste Job von Führungskräften ist es, klar zu kommunizieren“, sagt etwa Stepstone-Chef Dettmers. „Dazu zählt erstens, die Ziele des Unternehmens für jeden Mitarbeiter greifbar zu machen. Zweitens ist das die Beantwortung der Frage, was ein Mitarbeiter oder ein Bereich ganz konkret zum Unternehmenserfolg beitragen kann.“ Freiheit und Vertrauen hält er für deutlich wichtiger als „engmaschige inhaltliche Vorgaben“.

Mit Geld und Karriereaussichten allein lassen sich heute schließlich kaum noch Arbeitnehmer locken. Durch die Coronapandemie hat das Thema Work-Life-Balance noch einmal eine viel stärkere Bedeutung bekommen. Immer weniger sind bereit, sich jeden Morgen in den Stau oder eine übervolle Bahn zu stellen, um ins Büro zu fahren – oder gar für einen neuen Job den Wohnort zu wechseln. Die voranschreitende Digitalisierung macht das Arbeiten auf Distanz möglich und junge Talente erwarten diese Option auch, zumindest tageweise.

Der Arbeitnehmer von heute kennt seinen Marktwert und fordert diesen selbstbewusst ein. Gerade die jungen, um die Jahrtausendwende geborenen Arbeitnehmer der sogenannten Generation Z suchen in ihrer Arbeit mehr als den schnöden Lohnerwerb. Sie suchen den Sinn hinter ihrer Tätigkeit, wollen etwas schaffen, etwas bewirken. „Die Suche nach Sinn der jungen Generation ist kein Blabla“, sagt denn auch Hansen von Odgers Berndtson. „Die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit ist ihr ein echtes Anliegen und von daher sehr ernst zu nehmen.“

Angesichts solcher Ansprüche – wie soll es Unternehmenschefinnen und -chefs gelingen, die Topleute für sich zu gewinnen? Damit dies klappen kann, muss der Manager respektive die Managerin von heute bei einer ganz bestimmten Person anfangen: sich selbst.

Moderne Führungskraft braucht Elan für Neues

Nicht nur der Arbeitsmarkt, auch das Chefsein befindet sich im Wandel. Ausgedient hat der autoritäre Manager, der von oben herab den Weg vorgibt und damit mehr Angst und Schrecken erzeugt als Kreativität und Fortschritt. Die Führungskraft von heute – und erst recht von morgen – ist sich ihrer neuen Rolle bewusst und will die Gesellschaft aktiv mitgestalten.
Analysen wie die des Organisationspsychologen Adam Grant („Think again“) werden zu Bestsellern. Der US-amerikanische Autor empfiehlt die „persönliche Transformation“. Demnach solle man alle sechs Monate überdenken, was man tut. Ökonomische Treiber seien nicht mehr entscheidend, sondern emotionale, sagt Grant.

Einer, der das schon lange predigt, ist Reinhard K. Sprenger. Der Managementexperte arbeitet gerade an einer Neuauflage seines Bestsellers „Radikal führen“ (Campus Verlag), in die das Handelsblatt schon einmal einen Blick werfen durfte. Sein großes Thema darin: Agilität. Die ziele „vor allem auf ein höheres Qualitätsbewusstsein des Einzelnen, auf Selbstverantwortung, auf höhere Risikobereitschaft, Lernbereitschaft, Offenheit“, so Sprenger: „Es geht darum, nicht alles bis zu Ende zu denken, sondern 80-Prozent-Lösungen zu akzeptieren, zu pilotieren und zu experimentieren.“

Zu den Schlüsselfähigkeiten gehöre es dabei, mit Unsicherheiten, Ungewissheit und Nichtplanbarkeit umzugehen, Mehrdeutigkeiten auszuhalten. Vor allem aber: „Vertrauen zu haben in die Spontanität des Richtigen.“

Was die moderne Führungskraft schaffen muss, ist, den Elan für Neues, der in der Coronapandemie gezwungenermaßen spontan zum Vorschein trat, hinüberzuretten in eine neue Zeit. „Seit die Coronapandemie zur Endemie geworden ist, hat der Zwang, neu zu denken, nachgelassen“, sagt Psychologe Grant dem Handelsblatt. „Wir dürfen nicht aufhören, neu zu denken.“ Das gilt besonders für die CEOs von morgen.

Quelle: Handelsblatt von Claudia Panster und Tanja Kewes Nov. 2022

Quelle Titelbild: unsplash Shingi Rice